Read Die Blechtrommel Online

Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

Die Blechtrommel (4 page)

BOOK: Die Blechtrommel
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Und sie hätten sich herb freundschaftlich, verlegen lächelnd und fast mit Tränen zwinkernd in die Männeraugen gesehen, hätten einen scheuen, aber schwieligen Händedruck gewechselt.

Wir kennen diese Szene aus betörend gut fotografierten Filmen, wenn es den Regisseuren einfällt, famos schauspielernde, feindliche Brüder zu fortan durch dick und dünn gehenden, noch tausend.

Abenteuer bestehenden Spießgesellen zu machen.

Koljaiczek aber fand weder Gelegenheit, den Dückerhoff ertrinken zu lassen, noch ihn den Klauen des rollenden Langhölzertodes zu entreißen. Aufmerksam und um den Vorteil seiner Firma bedacht, kaufte Dückerhoff in Kijew das Holz ein, überwachte noch die Zusammenstellung der neun Flöße, teilte, wie üblich, unter den Flißacken ein ordentliches Handgeld russischer Währung für die Talfahrt aus und setzte sich dann in die Eisenbahn, die ihn über Warschau, Modlin, Deutsch-Eylau, Marienburg, Dirschau zu seiner Firma brachte, deren Sägerei im Holzhafen zwischen der Klawitterwerft und der Schichauwerft lag.Bevor ich die Flößer nach Wochen ernsthaftester Arbeit von Kijew die Flüsse, den Kanal und endlich die Weichsel bergab kommen lasse, überlege ich mir, ob Dückerhoff sicher war, im Wranka den Brandstifter Koljaiczek erkannt zu haben. Ich möchte sagen, solange der Sägemeister mit dem harmlosen, gutwilligen, trotz seiner Beschränktheit allgemein beliebten Wranka auf einem Dampfer saß, hoffte er, einen zu allem Frevel entschlossenen Koljaiczek nicht zum Reisegenossen zu haben. Diese Hoffnung gab er erst in den Polstern des Eisenbahncoupes auf. Und als der Zug sein Ziel erreichte, im Hauptbahnhof Danzig — jetzt sprech ich es aus — einrollte; hatte Dückerhoff seine Dückerhoffschen Beschlüsse gefaßt, ließ seine Koffer in eine Kutsche packen, nach Hause rollen, ging forsch, weil ohne Gepäck, zum nahen Polizeipräsidium am Wiebenwall, nahm dort springend die Treppen zum Hauptportal, fand nach kurzem sensiblem Suchen jenes Zimmer, welches sachlich genug eingerichtet war, dem Dückerhoff einen knappen, nur Tatsachen nennenden Bericht abzunötigen. Nicht etwa, daß der Sägemeister Anzeige erstattete.

Schlicht bat er, den Fall Koljaiczek-Wranka zu prüfen, was ihm von der Polizei versprochen wurde.

Während der folgenden Wochen, da das Holz mit den Schilfhütten und den Flößern langsam flußabwärts glitt, wurde auf mehreren Ämtern viel Papier beschrieben. Da gab es die Militärakte des Joseph Koljaiczek, gemeiner Kanonier im soundsovielten westpreußischen Feldartillerieregiment.

Zweimal drei Tage mittleren Arrest hatte der üble Kanonier wegen im Zustand der Trunkenheit lauthals geschrieener, halb polnischer, halb deutscher Sprache zugeordneter anarchistischer Parolen absitzen müssen. Schandflecke waren das, die in den Papieren des Gefreiten Wranka, gedient beim zweiten Leibhusarenregiment in Langfuhr, nicht zu entdecken waren. Rühmlich hervorgetan hatte sich der Wranka, war dem Kronprinzen als Bataillonsmelder beim Manöver angenehm aufgefallen, hatte von jenem, der immer Taler in der Tasche trug, einen Kronprinzentaler geschenkt bekommen.

Letzterer Taler war jedoch nicht in der Militärakte des Gefreiten Wranka vermerkt, den gestand vielmehr laut jammernd meine Großmutter Anna, als sie mit ihrem Bruder Vinzent verhört wurde.

Nicht nur mit jenem Taler bekämpfte sie das Wörtchen Brandstifter. Papiere konnte sie vorzeigen, die mehrmals besagten, daß Joseph Wranka schon im Jahre nullvier der Freiwilligen Feuerwehr Danzig-Niederstadt beigetreten und während der Wintermonate, da alle Flößer Pause machten, als Feuerwehrmann manch kleinem und großem Brand begegnet war. Auch eine Urkunde gab es, die bekundete, daß der Feuerwehrmann Wranka während des Großbrandes im Eisenbahnhauptwerk Troyl, anno nullneun, nicht nur gelöscht, sondern auch zwei Schlosserlehrlinge gerettet hatte. Ähnlich sprach der als Zeuge geladene Hauptmann der Feuerwehr Hecht. Der gab zu Protokoll: »Wie soll der Brandstifter sein, der da löscht! Seh ich ihn nicht immer noch auf der Leiter, da die Kirche in Heubude brannte? Ein Phönix aus Asche und Flamme tauchend, nicht nur das Feuer, den Brand dieser Welt und den Durst unseres Herrn Jesus löschend! Wahrlich ich sage Euch: Wer da den Mann mit dem Feuerwehrhelm, der die Vorfahrt hat, den die Versicherungen lieben, der immer ein wenig Asche in der Tasche trägt, sei es zum Zeichen, sei's von Berufs wegen, wer ihn, den herrlichen Phönix einen roten Hahn heißen will, er verdient, daß man ihm einen Mühlstein um den Hals ...«

Sie werden es bemerkt haben, der Hauptmann Hecht der freiwilligen Feuerwehr war ein wortgewaltiger Pfarrer, stand Sonntag für Sonntag auf der Kanzel seiner Pfarrkirche St. Barbara auf Langgarten und verschmähte es nicht, solange die Untersuchungen gegen Koljaiczek-Wranka betrieben wurden, mit ähnlichen Worten Gleichnisse vom himmlischen Feuerwehrmann und dem höllischen Brandstifter seiner Gemeinde einzuhämmern.

Da jedoch die Beamten der Kriminalpolizei nicht in Sankt Barbara zur Kirche gingen, auch aus dem Wörtchen Phönix eher eine Majestätsbeleidigung denn eine Rechtfertigung des Wranka herausgehört hätten, wirkte sich Wrankas Tätigkeit als freiwilliger Feuerwehrmann belastend aus.

Zeugnisse verschiedener Sägereien, Beurteilungen der Heimatgemeinden wurden eingeholt: Wranka erblickte in Tuchel das Licht dieser Welt; Koljaiczek war ein geborener Thorner. Kleine Unstimmigkeiten bei den Aussagen älterer Flößer und entfernter Familienangehöriger. Der Krug ging immer wieder zum Wasser; was blieb ihm übrig, als zu brechen. Als die Verhöre soweit gediehen waren, erreichte das große Floß gerade das Reichsgebiet und wurde ab Thorn unauffällig kontrolliert und bei den Anlegeplätzen beschattet.

Meinem Großvater fielen erst hinter Dirschau seine Beschatter auf. Er hatte sie erwartet. Eine ihm zeitweilig anhaftende Trägheit, die an Schwermut grenzte, mag ihn daran gehindert haben, bei Letzkau etwa oder Käsemark einen Ausbruchversuch zu wagen, der in so vertrauter Gegend mit Hilfe einiger ihm gewogener Flißacken noch möglich gewesen wäre. Ab Einlage, als sich die Flöße langsam und einander stoßend in die Tote Weichsel schoben, lief auffällig unauffällig ein Fischerkutter, der viel zu viel Besatzung an Bord hatte, neben den Flößen her. Kurz hinter Plehnendorf schössen die beiden Motorbarkassen der Hafenpolizei aus dem Schilfufer und rissen, beständig kreuz und quer hetzend, das immer brackiger den Hafen ankündigende Wasser der Toten Weichsel auf. Hinter der Brücke nach Heubude begann die Absperrkette der »Blauen«. Holzfelder gegenüber der Klawitterwerft, die kleineren Bootswerften, der immer breiter werdende, zur Mottlau hindrängende Holzhafen, die Anlegebrücken verschiedener Sägereien, die Brücke der eigenen Firma mit den wartenden Angehörigen und überall »Blaue«, nur drüben bei Schichau nicht, da war alles geflaggt, da war etwas anderes los, da solltewohl etwas vom Stapel laufen, da war viel Volk, das regte die Möwen auf, da wurde ein Fest gegeben — ein Fest für meinen Großvater?

Erst als mein Großvater den Holzhafen voller blau Uniformierter sah, als die Barkassen immer unheilverkündender ihren Kurs nahmen und Wellen über die Flöße warfen, erst als er den ganzen kostspieligen Aufwand begriff, der ihm zuteil wurde, da erst erwachte sein altes Koljaiczeksches Brandstifterherz, und er spuckte den sanften Wranka aus, entschlüpfte dem freiwilligen Feuerwehrmann Wranka, sagte sich lauthals und ohne Stocken vom stotternden Wranka los und floh, floh über die Flöße, floh über weite, schwankende Flächen, barfuß über ein ungehobeltes Parkett, von Langholz zu Langholz Schichau entgegen, wo die Fahnen lustig im Winde, über Hölzer vorwärts, wo etwas auf Stapel lag, Wasser hat dennoch Balken, wo sie die schönen Reden hielten, wo niemand Wranka rief oder gar Koljaiczek, wo es hieß: Ich taufe dich auf den Namen SMS Columbus, Amerika, über vierzigtausend Tonnen Wasserverdrängung, dreißigtausend PS, Seiner Majestät Schiff, Rauchsalon erster Klasse, zweiter Klasse Backbordküche, Turnhalle aus Marmor, Bücherei, Amerika, Seiner Majestät Schiff, Wellentunnel, Promenadendeck, Heil dir im Siegerkranz, die Göschflagge des Heimathafens, Prinz Heinrich steht am Steuerrad und mein Großvater Koljaiczek barfuß, die Rundhölzer kaum noch berührend, der Blasmusik entgegen, ein Volk das solche Fürsten hat, von Floß zu Floß, jubelt das Volk ihm zu, Heil dir im Siegerkranz, und alle Werftsirenen und die Sirenen der im Hafen liegenden Schiffe, der Schlepper und Vergnügungsdampfer, Columbus, Amerika, Freiheit und zwei Barkassen vor Freude irrsinnig neben ihm her, von Floß zu Floß, seiner Majestät Flöße und schneiden ihm den Weg ab und machen den Spielverderber, so daß er stoppen muß, wo er so schön im Schwung war, und steht ganz einsam auf einem Floß und sieht schon Amerika, da sind die Barkassen längsseits, da muß er sich abstoßen — und schwimmen sah man meinen Großvater, auf ein Floß schwamm er zu, das in die Mottlau glitt. Und mußte tauchen wegen Barkassen und unten bleiben wegen Barkassen, und das Floß schob sich über ihn und wollte nicht mehr aufhören, gebar immer ein neues Floß: Floß von deinem Floß, in alle Ewigkeit: Floß.

Die Barkassen stellten ihre Motoren ab. Unerbittliche Augenpaare suchten auf der Wasseroberfläche.

Doch Koljaiczek hatte sich endgültig verabschiedet, hatte sich der Blechmusik, den Sirenen, den Schiffsglocken und Seiner Majestät Schiff, der Taufrede des Prinzen Heinrich und den irrsinnigen Möwen Seiner Majestät, hatte sich Heil dir im Siegerkranz und der Schmierseife Seiner Majestät für den Stapellauf Seiner Majestät Schiff, hatte sich Amerika und der »Columbus«, hatte sich allen Nachforschungen der Polizei unter dem endlosen Holz entzogen.

Man hat die Leiche meines Großvaters nie gefunden. Ich, der ich fest daran glaube, daß er unter dem Floß seinen Tod schaffte, muß mich, um glaubwürdig zu bleiben, hier dennoch bequemen, all die Versionen wunderbarer Rettungen wiederzugeben.

Da hieß es, er habe unter dem Floß eine Lücke zwischen den Hölzern gefunden; von unten her gerade groß genug, um die Atmungsorgane über Wasser halten zu können. Nach oben hin soll sich die Lücke dergestalt verengt haben, daß es den Polizisten, die bis in die Nacht hinein die Flöße und sogar die Schilfhütten auf den Flößen absuchten, unsichtbar blieb. Dann, im Schutz der Dunkelheit — so hieß es weiter — habe er sich treiben lassen, habe zwar erschöpft, doch mit einigem Glück das andere Mottlauufer und das Gelände der Schichauwerft erreicht, habe dort im Schrottlager Unterschlupf gefunden und sei später, wahrscheinlich mit Hilfe griechischer Matrosen, auf einen jener schmierigen Tanker gelangt, die schon manch einem Flüchtling Schutz geboten haben sollen.

Andere behaupteten: Koljaiczek, der ein guter Schwimmer mit einer noch besseren Lunge war, unterschwamm nicht nur das Floß; auch die beträchtliche restliche Breite der Mottlau durchtauchte er, schaffte mit Glück das Festgelände der Schichauwerft, mischte sich dort, ohne Aufsehen zu erregen, unter die Werftarbeiter und schließlich unters begeisterte Volk, sang mit dem Volk »Heil dir im Siegerkranz«, hörte sich noch beifallsfreudig des Prinzen Heinrich Taufrede auf Seiner Majestät Schiff »Columbus« an, verdrückte sich nach geglücktem Stapellauf mit der Menge in halb getrockneten Kleidern vom Festgelände und avancierte am nächsten Tag schon — hier trifft sich die erste mit der zweiten Rettungsversion — zum blinden Passagier auf einem der berühmt berüchtigten griechischen Tanker.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch die dritte unsinnige Fabel erwähnt, die meinen Großvater gleich Treibholz in die offene See treiben ließ, wo ihn prompt Fischer aus Bohnsack auffischten und außerhalb der Dreimeilenzone einem schwedischen Hochseekutter übergaben. Dort, auf dem Schweden, ließ ihn die Fabel dann langsam und wunderbarerweise wieder zu Kräften kommen, Malmö erreichen — und so weiter, und so weiter.

Das alles ist Unsinn und Fischergeschwätz. Auch gebe ich keinen Pfifferling für die Aussagen jener in allen Hafenstädten gleich unglaubwürdigen Augenzeugen, welche meinen Großvater kurz nach dem ersten Weltkrieg in Buffalo USA gesehen haben wollen. Joe Colchic soll er sich genannt haben.

Holzhandel mit Kanada gab man als sein Gewerbe an. Aktien bei Streichholzfirmen. Begründer von Feuerversicherungen. Schwerreich und einsam beschrieb man meinen Großvater: in einem Wolkenkratzer hinter riesigem Schreibtisch sitzend, Ringe mit glühenden Steinen an allen Fingern tragend, mit seiner Leibwache exerzierend, die Feuerwehruniform trug, polnisch singen konnte und Phönixgarde hieß.

FALTER UND GLÜHBIRNE

Ein Mann ließ alles zurück, fuhr über das große Wasser, kam nach Amerika und wurde reich. — Ich will es genug sein lassen mit meinem Großvater, ob er sich nun polnisch Goljaczek, kaschubisch Koljaiczek oder amerikanisch Joe Colchic nannte.

Es bereitet Schwierigkeiten, auf einer simplen, in Spielzeugläden und Kaufhäusern erhältlichen Blechtrommel hölzerne, mit dem Fluß fast bis zum Horizont hinlaufende Flöße abzutrommeln.

Dennoch ist es mir gelungen, den Holzhafen, alles Treibholz, in Flußbuchten schlingernd, im Schilf verfilzt, mit weniger Mühe die Hellingen der Schichauwerft, der Klawitterwerft, der vielen, teilweise nur Reparaturen ausführenden Bootswerften, das Schrottlager der Waggonfabrik, die ranzigen Kokoslager der Margarinefabrik, alle mir bekannten Schlupfwinkel der Speicherinsel abzutrommeln.

Er ist tot, gibt mir keine Antwort, zeigt kein Interesse für kaiserliche Stapelläufe, für den oft Jahrzehnte währenden, mit dem Stapellauf beginnenden Untergang eines Schiffes, das in diesem Fall »Columbus« hieß, auch der Stolz der Flotte genannt wurde, selbstverständlich Kurs auf Amerika nahm und später versenkt wurde, oder sich selbst versenkte, vielleicht auch gehoben und umgebaut, umgetauft oder verschrottet wurde. Womöglich tauchte sie nur, die »Columbus«, machte es meinem Großvater nach, und treibt sich heute noch mit ihren vierzigtausend Tonnen, mit Rauchsalon, Turnhalle in Marmor, Schwimmbassin und Massagekabinen in, sagen wir, sechstausend Meter Tiefe des Philippinengrabens oder Emdentiefs herum; man kann das nachlesen im »Weyer« oder in Flottenkalendern — ich glaube, die erste oder zweite »Columbus« versenkte sich selbst, weil der Kapitän irgendeine mit dem Krieg zusammenhängende Schande nicht überleben wollte.

Einen Teil der Floßgeschichte habe ich Bruno vorgelesen, dann, um Objektivität bittend, meine Frage gestellt.

»Ein schöner Tod!« schwärmte Bruno und begann sofort meinen ertrunkenen Großvater mittels Bindfaden in eine seiner Knotengeburten zu verwandeln. Ich sollte mit seiner Antwort zufrieden sein und nicht mit tollkühnen Gedanken nach USA auswandern und ein Erbe erschleichen wollen.

BOOK: Die Blechtrommel
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